Time To Play?
Es ist Corona-Lockdown. Damit ist alles gesagt. Ich bin daheim, spule mein übliches Programm an HIT-Fitnessübungen ab und versuche absurde Bestzeiten zu knacken – das Leistungsniveau will ja erhalten werden! Und während dieses suizidalen Drills höre ich eine Podcast-Folge über das stetige Absterben unseres Planeten Erde. Wunderbar. Völlig willkürlich schweift dabei mein Blick durch den Raum und bleibt an meinem heißgeliebten Trailrunningrucksack kleben, der noch vom letzten Abenteuer in der Ecke ausdünstet. “Time to play!” springt mir der aufgedruckte Markenclaim ins Auge. “Play”? Sind die Berge denn ein Spielplatz? Kann schon sein. Spielplätze sind ja auch immer gut besucht. Wie die Berge, die schon weit vor Corona massiv an Beliebtheit dazugewonnen haben und nun praktisch überrannt wurden. Jeder von uns hat das Extrembeispiel bereits selbst erlebt: An schönen Sonn- und Feiertagen Autokorso auf A95 und A8, Wanderparkplätze bereits um 10 Uhr dicht und genervte Menschen, die lieber allein sein wollen. Angesichts dieser Umstände drängt sich doch wirklich die Frage auf: Warum tun wir uns das freiwillig an? Tja, eines steht jedenfalls fest: Der persönliche Drang nach Bergausflügen muss riesengroß sein. Und noch eines steht fest: Aus Freude an diesen Umständen machen wir das sicherlich auch nicht. Aber warum denn dann? Weil die Natur so schön ist? Oder – Obacht, sportliche Gemeinde! – weil wir so ein riesen Ego haben, welches das eigene Spaßerlebnis und die Leistungssteigerung in den Vordergrund stellt?
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wenn ich durch die Sportgeschäfte laufe und Claims lese wie “Time to play!”, “Access the inaccessible” oder “Speed up”, dann fühle ich mich schon irgendwie blöd. Die Natur wird zum Spielplatz herabgestuft und ich als lausiger Breitensportler stehe auf der Bühne und lasse mich als Bezwinger der Wildnis feiern. Albern, aber auch irgendwie schmeichelhaft. Wenn man jedoch dieses Selbstbild für sich annimmt, bedeutet das auch ganz schön viel Druck, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Höher, schneller, weiter – wir kennen das ja alle. Und natürlich trainieren wir lieber in den Bergen als auf dem Laufband oder im Stadtpark.
Also egal ob ambitionierter Bergsportler oder esoterischer Wanderer, sei so gut und erlaube mir diese eine Pauschalisierung: Wir alle fahren nur uns zuliebe in die Berge – für Spaß, Training und Erholung. Aber nicht zuliebe der Natur und unseren Mitmenschen, denn sonst würden wir wohl eher daheim bleiben. Im Grunde ist der Ego-Trip aber auch ok – wir müssen ja auch auf unsere psychische und physische Gesundheit achten. Allerdings würde ein wenig gescheiteres Verhalten oder auch mal Verzicht (upps, böses Wort) für uns alle einiges zum Positiven bewegen. Denn noch vor rund 20 Jahren waren wir ca. sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten und nun sind es bereits knapp acht Milliarden. Erinnert ein wenig an den Befall eines Virus mit exponentiellem Wachstum, oder? Wenn wir alle nun in den Bergen “spielen” möchten, was dann? Zugegeben, in Bayern sind es nicht ganz so viele Menschen, aber die Konsequenz ist dieselbe: Die Natur kann sich nicht selbstständig in Quarantäne zurückziehen, um sich vor uns massenhaften Angreifern zu schützen. Also, warum nicht öfters ÖPNV oder Fahrgemeinschaften über unsere eigene Bequemlichkeit stellen? Warum nicht öfters vorher über Naturschutzgebiete informieren bevor wir dort einmarschieren? Und für die Abenteurer unter uns: Warum nicht öfters eine Tour vollständig “by fair means” durchführen – inklusive Anreise? Und wenn dann noch ein nettes Lächeln für die Mitmenschen auf Tour übrig ist, super!